Interview mit der Familie Konovchenko

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Interview mit Olga Konovchenko und ihren Kindern Katja und Ilja

An einem trüben Donnerstagnachmittag Anfang Januar treffen wir die ukrainische Familie Konovchenko, die seit ihrer Flucht aus Charkiw vor rund 10 Monaten bei der Familie Grob im Weiler Brand bei Mönchaltorf wohnt, für ein Interview.

Herzlichen Dank an Olga, Katja und Ilja für Ihre Bereitschaft zum aufwühlenden Interview und der Familie Grob für die Vermittlung und die Hilfe beim Übersetzen aus dem Russischen.

Die Kinder sprechen bereits sehr gut Deutsch und gehen in Mönchaltorf und in Uster zur Schule. Olga ist seit einiger Zeit im Deutschkurs, der von der reformierten Kirche angeboten wird und lernt mit grossem Eifer Deutsch. Zdena Grob unterstützt uns während dem Interview mit Übersetzung. Als gebürtige Tschechin hat sie in der Schule Russisch gelernt, weil andere Fremdsprachen nicht möglich waren – nun, 35 Jahre später, ist es von enormer Bedeutung, denn allein über eine Übersetzungsapp wäre die Verständigung zwischen der Gastfamilie und den Konovchenko’s anfangs schwierig und die freundschaftliche Beziehung zwischen Zdena und Olga wohl weniger herzlich. Dass hier eine Familie einer anderen Familie nicht einfach die Türe zu ihrem Zuhause geöffnet hat, sondern eine tiefe Freundschaft entstanden ist, ist offensichtlich.

Aus welcher Region der Ukraine stammen Sie und Ihre Kinder?

Olga und Ilja: Wir kommen aus Charkiw an der Grenze zu Russland. Seit 10 Monaten fallen jeden Tag viele Bomben auf die Stadt. (Anmerkung: Gegründet wurde Charkiw im Nordosten des Landes im Jahr 1654 und ist mit rund 1,5 Millionen Einwohnern nach Kiew die zweitgrösste Stadt der Ukraine. Die Familie kam demnach von einer pulsierenden Grossstadt in eine kleine Gemeinde im Zürcher Oberland.)

Können Sie uns Ihre Heimat/Ihr Leben vor dem Krieg beschreiben?

Olga: Charkiw war eine wunderschöne Stadt mit Parks. Mein Mann hat bei der Bank gearbeitet und ich in der Betreuung für kleine Kinder. Meine Kinder können sehr gut singen, haben national und international an Wettbewerben teilgenommen. Ich habe dafür alles gegeben. Wir waren in Polen, in Tschechien, in Bulgarien und sogar in Frankreich für Gesangswettbewerbe. Ilja singt gerne modern, Pop. Katja mag die Folklore. Sie haben auch Videos auf Youtube. Gerne würden sie wieder singen, aber in der Schweiz habe ich trotz intensiver Suche noch nichts für sie gefunden. Die Kinder singen je länger je weniger.

Ihre Wahl fiel auf die Schweiz. Was hat Sie dazu bewogen, gerade hierher zu kommen?

Olga: Am Tag des Kriegsausbruchs, am 24. Februar, hatte ich Geburtstag. Am Morgen wachte ich nicht mit Glückwünschen auf, sondern von Ilja, der rief: "Mama, was sind das für Schüsse? Ist es Krieg? " Wir verbrachten die Nacht im Keller, und am Morgen gingen wir mit Freunden zu meiner Mutter nach Izium. Die Stadt liegt 130 Kilometer von Charkow entfernt und zu dieser Zeit war es dort noch ruhig.

Wir waren fünf Tage lang in Izyum. Meine Großmutter lag im Sterben, und als wir sie beerdigten, flog zum ersten Mal eine Rakete über uns hinweg. Wir mussten uns alle auf den Boden legen.

Es war der erste Tag, an dem wir Raketen und Flugzeuge am Himmel über Izyum sahen. In dieser Nacht wurde die Stadt zerschlagen. Als die Flugzeuge in Nacht die Bomben abwarf, waren die Straßen taghell. Es gab viele Explosionen. Wir saßen im Keller, die Wände wackelten, die Kinder weinten. Ich schrie: "Betet, betet"...

Es war die schlimmste Nacht unseres Lebens. Wir dachten nicht, dass wir den Morgen überleben würden. Am Morgen brachte uns meine Mutter zum Evakuierungszug. Es waren so viele Menschen dort. Männer durften nicht in den Zug, nur Ehefrauen.

Zdena Grob war in dieser Zeit in Prag und hat die grossen Flüchtlingsströme aus der Ukrainegesehen. Bewegt von diesen Eindrücken, aber noch ohne mit ihrem Mann Enrico darüber zu sprechen, kehrte sie nach Mönchaltorf zurück. Da kam er auf sie zu und meinte, sie hätten doch Platz im Haus, sie könnten doch Flüchtlinge aufnehmen. Über eine ihnen bekannte Familie in Mönchaltorf, die bereits 2014 bei der damaligen Attacke auf den Donbass (Krim-Anektion) in die Schweiz geflüchtet ist, kamen sie zu Olga und ihren Kindern, denn Olga ist die Cousine des Mannes, der mit seiner Familie seit einigen Jahren in Mönchaltorf lebt.

Von der Westukraine flüchteten wir nach Ungarn und von dort kamen wir mit dem Flugzeug nach Basel. Mit dem Zug kamen wir schliesslich nach Zürich und in der Nacht vom 23. März bin ich mit den Kindern in Mönchaltorf angekommen, einen Tag später wurde Katja 14 Jahre alt. Sascha, der bereits in Mönchaltorf lebt, hat uns sehr viel geholfen. Er wusste, dass die Reise für Flüchtlinge kostenlos ist und hat alles organisiert.

Bei der Ankunft der Familie hatte die Familie Grob lediglich ein Gästebett. Schnell haben sie ein zweites Bett und einige Möbel organisiert. So hat die Familie von Olga nun eine Küche, ein ein Bad, ein separates WC, ein kleines und ein etwas grösseres Zimmer. Die beiden Familien waren sich gleich sympathisch, auch wenn die Kinder sich noch etwas geniert hätten, bis sie sich besser kennen gelernt hätten.

Was lief gut und was hat Ihre Ankunft hier schwierig gemacht?

Olga: Es gab an verschiedenen Orten unglaublich hilfsbereite Menschen. Am Anfang war es für uns sehr schwierig, Hilfe anzunehmen, denn in Charkiw hatten wir alles. Zdena hat uns immer wieder gesagt, dass es nun eine andere Situation sei. Irgendwann war es einfacher und ich konnte Hilfe annehmen, ohne mich zu schämen. Und mit den Behörden war es am Anfang enorm schwierig. Es dauerte rund zwei Monate, bis wir den Status S erhalten haben. Ja, die Bürokratie war extrem schwierig. Wenn Enrico nicht immer wieder mit der Familie auf die Gemeinde gegangen wären, dann hätten wir diesen Status wohl heute noch nicht.

Zdena sieht es auch als grosse Belastung, dass unter den vielen Flüchtlingen, die hier sind, selten ganze Familien sind. Ein Teil der Familie konnte fliehen, aber ein anderer Teil musste zurückbleiben. So ist der Papa von Katja und Ilja in der Ukraine zurückgeblieben, wie auch die Mama von Olga, die ihrer Tochter und den Enkeln die wichtigsten Sachen per Post schicken konnte – wie zum Beispiel die Plüschtiere der Kinder.

Olga: Ja, es ist schwierig, ohne Mann und Vater der Kinder hier zu sein. Wir lernen jeden Tag sehr lange Deutsch. Die Kinder haben auch ukrainischen Fernunterricht und der Papa macht seit einiger Zeit mit den Kindern die ukrainischen Hausaufgaben übers Handy. Geholfen hat uns, dass wir in den ersten drei Monaten die Tickets von der SBB geschenkt bekommen haben. So konnte ich meinen Kindern zeigen, wo wir nun leben. Lauterbrunnen hat allen besonders gefallen, Ilja mochte das Technorama in Winterthur und das Matterhorn am besten und Katja mag die Berge im Allgemeinen. Ich selbst war beeindruckt vom Bourbaki Panorama in Luzern, doch die Kriegsgeräusche dort waren schwierig.

Zdena sagt uns, dass Olga mit den Kindern auch am Sechseläuten war. Es sei unglaublich schmerzhaft gewesen für sie mitanzusehen, dass die Kinder sich bei dem Lärm und den Böllern verstecken wollten und keinen sicheren Ort gefunden haben.

Wie geht es den Kindern in der Schule?

Ilja: In der Schule in Mönchaltorf ist es megasuper. Ich spiele auch Schach und Fussball und ich gehe ins Schiessen mit einer Pistole. Ich habe viele gute Freunde gefunden – ukrainische Menschen und Schweizer. Ich lerne gerne Deutsch. In unserer Schule sind sieben ukrainische Kinder, davon in meiner Klasse drei.

Katja: Ich gehe ins Gymnasium in Uster. Dort habe ich viele ukrainische Freunde. Wir sind über 20. Zuerst war ich in Mönchaltorf in der Schule. Ich hatte eine sehr gute Lehrerin hier, sie hat sich über meinen Übertritt ins Gymnasium sehr gefreut.
Es ist schön, dass Ilja und Zora, die Tochter der Gastfamilie gemeinsam in die gleiche Klasse gehen können.

Konntet ihr Lieblingsgegenstände mitnehmen?

Olga: Wir konnten nichts mitnehmen und dachten, es wäre bald vorbei. Die Oma, meine Mutter, hat dann immer wieder Pakete geschickt mit der Post mit unseren Gegenständen, die uns wichtig sind.

Können Sie Kontakt halten zu Familie und Freunden?

Olga: Ja, das können wir. Sunrise und Swisscom haben uns für ein Jahr Karten geschenkt und wir können so viel telefonieren, wie wir möchten. Heute nutzen wir vor allem das W-Lan und WhatsApp, um zu telefonieren. Ca. einen Monat lang gab es keinen Empfang in Charkiw, da hatten wir keinen Kontakt. Für die Kinder ist es schwierig, wenn sie nach ihrem Vater gefragt werden, gerade in der Schule ist das sehr streng. Er macht jetzt mit ihnen Hausaufgaben, aber es ist sehr schlimm, dass die Familie nicht zusammen sein kann.

Hat der Krieg in Ihrer Heimat Ihre Sicht auf Religion, Glaube oder Spiritualität verändert?

Olga: Der Glaube ist stärker geworden. Wir glauben in dieser schwierigen Situation noch mehr an Gott. Wir haben in Charkiw andere Festzeiten für Weihnachten und Ostern als hier. In Uster haben wir Kontakt zu einem Pfarrer und seiner Frau. Mit ihnen habe ich viel gesprochen, geholfen hat die Übersetzungsapp.

Die Evangelisch-reformierte Kirche bietet einen Deutschkurs an in der Gemeinde. Was sollten wir noch tun, um ankommenden Menschen zu helfen?

Olga: Ich besuche den Deutschkurs am Montag. Mein Lehrer ist Walter. Am Anfang musste ich noch einen anderen Kurs besuchen wegen der Behörden, dieser war aber nicht so gut. Der jetzige gefällt mir viel besser.

Zdena erklärt uns, dass man bei seelischen Problemen in der Ukraine selten einen Psychologen oder Psychiater aufsucht, um Hilfe zu bekommen. Man geht in die Kirche. Daher wäre es wichtig, dass Menschen da sind, die zuhören. Schwierig ist sicher auch, dass sowohl Olga und die Kinder viel Schlimmes gesehen haben, all die Toten, die Zerstörung.

Wie wurden Sie hier behandelt?

Olga: Als wir in den Brand gekommen sind, haben viele Menschen geholfen. Schwierig war, wenn uns gesagt wurde, dass wir Bescheid geben sollen, wenn wir Hilfe brauchen. Um Hilfe zu fragen, fällt uns sehr schwer. Viele haben aber auch mit Essen, Kosmetikartikeln oder Velos geholfen. In der Grossstadt sind wir nie Velo gefahren, sondern immer mit der Strassenbahn, aber inzwischen können wir es gut und sind richtig schnell damit.

Das Thema der aktuellen Ausgabe der Mönchaltorfer Nachrichten ist Ausblick. Was sehen Sie, wenn Sie nach vorne blicken?

Ilja: Wir leben von Tag zu Tag. Man weiss nicht, was morgen, was übermorgen geschieht. Wie sieht unser Haus aus? Wie unsere Schule? Haben Mama und Papa noch Arbeit? Im Boden sind viele Minen, das ist gefährlich.

Olga: Wir beten dafür, aber ob wir zurückkönnen und wieder beisammen sind, wissen wir nicht. Wir beten dafür, dass die Ukraine wieder frei ist und wir als Familie zusammenleben können. Für uns ist die Vorstellung schwierig, nach Charkiw zurückzugehen und die Zerstörung zu sehen, daher gehen wir vielleicht zuerst in den Westen. Charkiw ist nur gerade einmal 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, deshalb sprechen wir russisch. Wie die Zukunft sein wird, weiss ich nicht, aber der Glaube hilft mir sehr. Sollte meine alte Heimat aber russisches Gebiet werden, kehren wir keinesfalls zurück.

Das Interview führten Pfrn. Cindy Gehrig und Tom Willi von der Kirchenpflege der evangelisch-reformierten Kirche Mönchaltorf.

 

 

 

 

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